Über Gernot Wolfgruber

Dieses Buch bei Amazon Gernot Wolfgruber war von der Mitte der 70er bis in die 80er Jahre einer der damals meistgelesenen Österreichischen Autoren. Mit fünf Romanen hat es sich seinen Platz als herausragender Vertreter des "Neuen Realismus" in der deutschsprachigen Literatur erschrieben. Seine Romane, die auch verfilmt wurden, erzählen von gescheiterten Versuchen kleinbürgerlich-proletarischer Helden, aus vorgegebenen Lebensumständen auszubrechen. Von den Drangsalierungen in Elternhaus und Schule, dem Stigma des Proletarierdaseins, berichten diese Entwicklungs- und Desillusionierungsromane geradeso wie von den Hoffnungen und Enttäuschungen, die mit dem sozialen Aufstieg verbunden sind.

Alltag, Stagnation und Entfremdung - Österreich in den siebziger Jahren: Immer noch geht es trotz mäßiger Wirtschaftskrisen aufwärts, aber nicht voran, wobei der "vereinzelte Einzelne" oft genug zurück oder schließlich sogar ganz auf der Strecke bleibt. Wolfgruber ist ein Zeuge dieser Zeit.

In den vergangenen Jahren ist es still um Gernot Wolfgruber geworden. Er hat lange Zeit keine Texte mehr veröffentlicht. Am 20. Dezember 2006 feiert der Autor seinen 62. Geburtstag.

Wolfgruber wurde am 20. Dezember 1944 in Gmünd in Niederösterreich geboren. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen, seine Biografie liest sich wie der Lebensweg einer seiner Romanfiguren. Der Vater kam bereits wenige Jahre nach der Geburt seines Sohnes im Krieg ums Leben. Wolfgruber war nach Abschluss der Hauptschule Lehrling, und anschließend als Hilfsarbeiter in verschiedenen Berufen tätig. Ab dem Jahr 1968 übte er den Beruf eines Programmierers aus, besuchte nebenbei die Abendschule und bereitete sich auf die Externistenmatura vor. Nach der Reifeprüfung studierte er von 1968 bis 1974 Publizistik und Politikwissenschaften in Wien. Seit dem Abschluss seines Studiums lebt er als freier Schriftsteller.

1975 erscheint sein Erstlingswerk "Auf freiem Fuß". Der sehr autobiographisch in Ich-Form geschriebene Roman zeigt die Verhältnisse in der österreichischen Provinz der Nachkriegszeit m it ihren Folgen:

Dieses Buch bei Amazon Ein Hauptschüler, der ohne Vater in ärmlichsten Verhältnissen aufwächst, beginnt eine Lehre in der Farbküche einer Textildruckerei. Nach kurzer Zeit bricht er jedoch ab, um eine andere, jedoch um nichts bessere Lehre zu beginnen. Der Abstieg geht voran, schließlich beginnt er zu gammeln, wird Hilfsarbeiter, begeht auch ab und zu kleine Diebstähle. Er wird schlussendlich erwischt und muss für ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Das Strafmaß orientiert sich dann an der Dauer der Untersuchungshaft. Wieder auf freiem Fuß, bleibt ein verunsicherter junger Mensch zurück, der nicht weiß wie er sich wieder in die Gesellschaft eingliedern soll, beziehungsweise wie er sich nun den Anderen gegenüber zu verhalten hat.

Ein Jahr später kommt dann der Roman "Herrenjahre" heraus und schließt direkt an den Vorgänger an. Er beschreibt quasi das weitere Leben des Jugendlichen, wobei es nach dem Muster des kleinbürgerlichen Bildungsromans angelegt ist, welches allerdings zerstört wird, da eben dieses Muster bis zum Schluss durchgehalten wird. Wolfgruber schildert ein paar Jahre aus dem Leben des Bruno Melzer, der ein mittelmäßiges Leben verbringt. Im Laufe des Buches werden die Hoffnungen und Erwartungen Melzers zunehmend als Fiktionen erkenntlich.

Dieses Buch bei Amazon Nach Abschluss der Lehre muss Melzer, der den Haupttreffer im Fußballtoto fest in sein Leben eingeplant hat, leider heiraten, weil "eine schiache Zufallsbekannte" ein Kind von ihm erwartet. Als Akkordarbeiter in einer Möbelfabrik erfährt er die Monotonie des Alltages. Schließlich stirbt Maria, seine Frau, an Krebs. Melzer steht nun mit drei Kindern und einem halbfertigen Haus alleine da. Er gibt eine Heiratsannonce auf zu der sein Kommentar lautet: "Wenn sich auf die Annonce eine meldet, die mich nimmt, obwohl ich nichts hab als drei Kinder und einen Haufen Arbeit daheim, ehrlich, sagt er, ich würd eine jede nehmen, ganz wurscht, wie sie ausschaut, wenns nur halbwegs zum Aushalten wär und mit den Kindern umgehen könnt, da würd ichs nehmen, weil auf die Liebe oder so was, sagt er, kommts bei mir nicht mehr an, weil drauf darfi gar nicht mehr ankommen, das ist vorbei, sagt er, tausend Rosen, so was spielt für einen wie mich keine Rolle mehr. Weil eigentlich, sagt er, spiel ich ja selber keine Rolle mehr. Auf die erste Heiratsanzeige, die Melzer aufgegeben hat, hat er dann drei Zuschriften bekommen. So endet der Roman.

Melzer rechnet damit, daß nach den Lehrjahren sein richtiges Leben anfängt: Die Herrenjahre. Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Das ist eben so. Immer so gewesen. Da kann man eben nichts machen. Aber wann kommen denn die Herrenjahre? Er wartet und wartet darauf, daß sich in seinem Leben etwas verändert, weiß aber nicht einmal genau auf was er da eigentlich wartet. Melzers Hoffnungen scheitern an der Realität. Seine Träume verblassen und der schmerzhafte Prozess der Desillusionierung setzt ein.

Wolfgruber verarbeitet in diesem Werk eigene Erfahrungen und will als Autor der "Grazer Gruppe" die Sprache als Erscheinungsform gesellschaftlicher Herrschaft sichtbar machen. Er verwendet eine leicht verständliche Umgangssprache, die genau zum monotonen mittelmäßigen Leben Melzers passt. Der Schriftsteller erhält für seine beiden Romane die besten Kritiken, er wird besonders für die authentische Darstellung der Figuren gelobt. Innerhalb kürzester Zeit wird er zum neuen Star der österreichischen Literatur, zum Hauptvertreter eines "österreichischen Realismus". Wolfgruber wird mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Dieses Buch bei Amazon 1978 erscheint dann sein dritter Roman, "Niemandsland". Wieder ist das Thema die Arbeitswelt: Georg Klein, ein Arbeiter, schafft den Aufstieg zum Angestellten, kommt aber mit den veränderten Verhältnissen, den neuen Normen und Erwartungen, nicht zurecht. Es geht Wolfgruber hier um die ganz alltäglichen Lebensgeschichte dieses Mannes, der in der Hoffnung lebt, dass sein Aufstieg zum Angestellten den Einstieg in das wirkliche Leben bedeutet. Er hofft damit endlich seine Individualität entfalten zu können, was bisher - seiner Meinung nach - aufgrund seiner gesellschaftlichen Position nicht möglich war.

Die sprachliche Intensität des Romans erzeugt eine neue Dramatik. Das Schicksal Kleins wird nämlich erst in der Beziehung zu seiner Frau, in den privaten Problemen ihrer Ehe, als soziale Tragik durchsichtig. Das Leben Kleins wird nicht - wie das Leben Melzers - zerstört, er wirft es durch sein Handeln vielmehr selbst aus der Bahn, ohne dass er allerdings ein andere Möglichkeit gehabt hätte. Klein versucht zielstrebig in die neue Welt hinein zukommen. Er wechselt bewusst seinen Freundeskreis, lässt seine Freundin im Stich, wechselt vom Wirtshaus ins Café - kurzum er versucht den Alltag anders zu gestalten um endlich ein besseres Leben zu führen, was ihm nur auf diese Weise möglich erscheint. So beendet er durch Angst sowie Unsicherheit seine Ehe, die er eingegangen ist, um eben diese Gefühle loszuwerden. Dadurch beginnt dort, wo das neue Leben beginnen soll, wo endlich das Glück dominieren soll, ein Prozess der Zerstörung beziehungsweise Selbstzerstörung.

Georg Klein ist mit seiner künftigen Frau Irene in die Stadt gezogen. Er hat eine bessere Stellung mit guten Aufstiegschancen gefunden. Doch nun schämt sich Klein seiner Herkunft. Er ist andauernd verunsichert und wird immerzu eifersüchtig, ohne dass ihm Irene einen Grund dazu gibt. Grundlos entwickelt er diese Gefühle allerdings auch wieder nicht, da ihm die ihr vertraute Umgebung fremd bleibt. Schließlich kommt es zum Ende ihrer Ehe. Obwohl weder Georg noch Irene es wollten, wird es doch unweigerlich von beiden herbeigeführt. Klein muss immer mehr den großen "Macher" spielen, um sein Elend zu verdecken. Irene, die ihn in seiner Unsicherheit mochte, findet ihn immer unerträglicher, was ihn wiederum dazu bringt, seine angebliche Selbstsicherheit noch mehr hervorzuheben. Für Klein gibt es kein Zurück mehr, weder in die Familie, noch in die Kleinstadt, noch in die Fabrik - er ist in der Gesellschaft aufgestiegen, ohne sein Ziel zu erreichen, er ist im Niemandsland.

Am Ende der 70er Jahre befindet sich Gernot Wolfgruber am Höhepunkt seiner Popularität. Dieter Berner, Axel Corti und Peter Keglevic verfilmen seine ersten drei Romane, er selbst verfasst die Drehbücher. Zusammen mit Helmut Zenker schreibt er drei Hörspiele, "Mutter, Vater, Kind", "Der Vertreter" und "High Noon". Wolfgrubers Literatur wird gelesen, gesehen und gehört.

Im Jahre 1981 publiziert er wieder einen Roman, "Verlauf eines Sommers". Darin erzählt er die Geschichte Martin Lenaus, der nach einem abgebrochenen Medizinstudium als Vertreter für medizinische Produkte Zahnarztpraxen abklappert, aber - wie alle anderen Wolfgruberschen Figuren auch - mit seinem Leben nicht zufrieden ist und sich nach "mehr" sehnt. In dem Roman taucht das Wort "ohnedies" sehr häufig auf, welches die Resignation, die Zwangsläufigkeit des Geschehens widerspiegelt. Noch immer erscheint Lenau "die Kleinfamilie" als Zwangsanstalt. Er selbst meint, nur aus "schlechtem Gewissen" zu bestehen. Seine Arbeit bereitet ihm keine Freude, sondern das genaue Gegenteil, und auch seine Familie möchte er am liebsten verlassen, denn er würde gerne ein ganz anderes Leben führen, das "Leben überhaupt" oder zumindest ein wenig Glück erleben, was ihm aber unter den gegebenen Umständen unmöglich erscheint. "Versuche alles hinter sich zu lassen, hatte er schon mehrmals unternommen. Allerdings immer nur übers Wochenende. Am Montag war er doch immer wieder bei der Vertreterbesprechung gesessen."

Dieses Buch bei Amazon Schon im "Verlauf eines Sommers", mehr noch im Roman "Die Nähe der Sonne", der 1985 erscheint, wendet sich Wolfgruber von der Beschreibung der Arbeitswelt ab und mehr dem psychologischen Ausleuchten des Inneren seiner Figuren zu. Auch in "Die Nähe der Sonne" erzählt er von einem beschädigten männlichen Protagonisten. Der Architekt Stefan Zell ist eben auf Urlaub im Süden, als er vom Tod seiner Eltern erfährt. Er hetzt nach Hause, um am Begräbnis teilnehmen zu können, gerät in eine wilde Party, dann folgt der psychische Zusammenbruch: "Und innen, innen Hiroshima."

Der "Nähe der Sonne" ist bis heute kein weiteres Buch mehr gefolgt. Im Alter von 41 Jahren, in dem viele Schriftstellerkarrieren erst beginnen, tritt Wolfgruber von der Bühne der publizierenden Schreibenden ab.

Nur wenige literarische Zeichen gibt Wolfgruber in den folgenden Jahren: In der Grazer Literaturzeitschrift "manuskripte" erscheint September 1997 einen langen Text "Wie warten. Immer", versehen mit dem Hinweis, dass es sich um einen Ausschnitt "aus einem Roman in Arbeit" handle. Der Text setzt in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer kleinen Stadt in der russischen Besatzungszone ein. Nils Adensam, die Hauptfigur, wächst mit seinem älteren Bruder und seiner Mutter bei den Großeltern in ärmlichen Verhältnissen auf. Die Mutter findet sich ohne ihren im Krieg gefallenen Mann nicht zurecht. Weil ihr Ehemann SS-Hauptscharführer war, bekommt die Mutter keine Witwen- und Waisenrente, muss sich und die Kinder mit Heimarbeit, Improvisation und eisernem Sparen durchbringen. Wolfgruber wechselt im Text die Perspektiven, erzählt aus der Sicht der Mutter und des kindlichen Nils, der die Sorgen und Nöte der Mutter zwar bemerkt, dem aber die Kindheit in der Nachkriegsgesellschaft, wie eine Art Idylle erscheint.

1998 veröffentlichte Wolfgruber in der Wiener Literaturzeitschrift "Kolik" den Text "Mit weit weggestreckter Hand", der ebenfalls als Ausschnitt "aus einem in Arbeit befindlichen Roman" gekennzeichnet ist. Wolfgruber zeigt hier Adensam als Erwachsenen, der an einem Sonntagabend von seinem Freund Ismael gebeten wird, ihn ins Krankenhaus, in die Psychiatrie zu bringen. Ismaels Mutter sei vor wenigen Tagen gestorben, er deswegen völlig am Ende. Adensam fährt zu Ismael und bringt ihn ins Krankenhaus, wo er den Oberarzt dazu bringt, Ismael stationär aufzunehmen. Mit Adensams Heimfahrt endet der kurze Ausschnitt.

Vergessen ist Gernot Wolfgruber, trotz der langen Zeit, in der man nichts von ihm hörte, nicht. Dazu ist sein Werk zu umfangreich und zu originell. Seine literaturhistorische Bedeutung ist zu groß. wer die beiden Auszüge gelesen hat, wird sich wünschen, irgendwann den ganzen Roman in den Händen zu halten.

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